Titel
Paradoxien im Bürgerrecht. Sozialwissenschaftliche Studien zur Einbürgerungspraxis in Schweizer Gemeinden


Herausgeber
Steiner, Pascale; Hans-Rudolf Wicker
Erschienen
Zürich 2004: Seismo Verlag
Anzahl Seiten
215 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Sebastian Brändli

Die Studie ist gegenwartsbezogen-sozialwissenschaftlich angelegt; einzig im Vorwort und in einzelnen Aspekten bei den Fallbeispielen sowie beim Schlussbeitrag wird auch historisch analysiert und argumentiert. Der Band ist das Resultat einer Nationalfondsstudie des Ethnologischen Institutes der Universität Bern; diese untersuchte unter dem Titel «Gemeinden als Orte der Einbindung und Ausgrenzung » die Praxis der Einbürgerung anhand von 15 nach spezifischen Kriterien ausgesuchten Fallbeispielen (Gemeinden).

Das Thema ist aktuell und neu. Aktuell, weil die gegenwärtigen Diskussionen um Einbürgerung und Bürgerrecht auf nationaler, kantonaler und kommunaler Ebene geführt werden, die teilweise bereits vor, vor allem aber nach dem wegweisenden Bundesgerichtsurteil vom 9. Juli 2003 zu neuen Gesetzgebungen führen soll(t)en. Neu, weil bisher – erstaunlicherweise – keine Übersichtsstudie über die Praxis der bekanntermassen sehr unterschiedlichen kantonalen und kommunalen Einbürgerungsverfahren bestehen. Nach einer Einleitung ins Thema (Steiner) folgen drei Teile: Teil 1 besteht aus einem Beitrag, der sich die Frage stellt, ob die Zuständigkeit für Einbürgerungen inhaltliche Wirkungen zeitigt (Souverän, Parlament, Verwaltungsstelle) – und dies eher verneint. Teil 2 besteht aus fünf Fallstudien (Gemeinden Zürich, Freiburg, Monthey und Zermatt, Castaneda und Chur, Basel), wobei verschiedene Fragestellungen im Vordergrund stehen, so auch das Zusammenspiel von politischer und Ortsbürgergemeinde.

Teil 3 enthält drei Beiträge zur Sicht von Betroffenen; der letzte Beitrag ist der Synthese gewidmet: «Das Gemeindebürgerrecht im Einbürgerungsverfahren» (Wicker). Diese als Versuch bezeichneten Ausführungen sind unverkennbar geprägt von der Aktualität der (damals) bevorstehenden eidgenössischen Abstimmung zur erleichterten Einbürgerung der zweiten und dritten Generation (2004). In dieser Aktualität, durch die Ereignisse bereits wieder überholt, analysiert Wicker die spezifischen Merkmale schweizerischer Einbürgerungspolitik und identifiziert sie in den Bereichen Identitäten, Gemeindautonomie und Verrechtlichung bzw. Professionalisierung der Verfahren. In diesen sehr lesenswerten Schlussfolgerungen fällt besonders auf, dass historische (sowie auch juristische) Analysen nur limitiert einbezogen werden: Wenn man feststellt, dass trotz relativ einheitlicher gesetzlicher Grundlage die Praxis äusserst vielfältig ist, genügt in der Regel der Verweis auf den Gemeinplatz des historisch Gewachsenen nicht. Vielmehr machen es paradoxe Regelungen in der Regel nötig, das Werden von Gesetzgebung auf allen Stufen des Bundesstaates, die föderale Praxis und die politischen Auseinandersetzungen (auch) historisch zu analysieren. So ist denn der lange, mühsame und beschwerliche Weg zur modernen politischen Gemeinde, der alte genossenschaftliche Vorstellungen von Gemeinde fast revolutionär überwinden musste, mehr als nur Indiz, sondern eben auch Begründung für viele aktuelle politische Probleme, die wir in Gesetzgebung und Praxis mit Bürgerrecht und Einbürgerung haben. Trotz dieses Makels wirft die Studie Licht auf ein bisher wenig beleuchtetes Feld und verdient daher in hohem Masse Beachtung.

Zitierweise:
Sebastian Brändli: Rezension zu: Paradoxien im Bürgerrecht. Sozialwissenschaftliche Studien zur Einbürgerungspraxis in Schweizer Gemeinden. Hg. von Pascale Steiner und Hans-Rudolf Wicker. Seismo, Zürich, 2004. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr. 2, 2005, S. 235.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 55 Nr. 2, 2005, S. 235.

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